Erstmals seit meiner Geburt: in Osnabrück

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a) Der Mann auf dem Nebensitz im Zugabteil, der seit einer geschlagenen Stunde Flusen von seinem blauen Wollschal pickt, mit der Ruhe eines lausenden Pavians, bis er am Ende eine kleine Kugel zusammen hat, die er gedankenverloren zwischen den Fingern dreht – ist das bereits ein Osnabrücker? Trage ich dieses Erbe in mir?

b) Ich bin nicht von hier, will ich sagen. Wir waren nur auf der Durchreise. Eine kurzfristige Anstellung meines Vaters, wir kamen vorbei und zogen weiter. Wohnung zur Untermiete, ich kann mich nicht erinnern, dass Koffer ausgepackt wurden. Aber Erinnerung ist ohnehin brüchig und ich war eben erst geboren. Was kann Osnabrück dafür, dass das ausgerechnet in Osnabrück geschah? Auf der Umzugskarte meiner Eltern stand nur ein Bibelvers. Hebräer 13,14: »Wir haben hier keine bleibende Statt.«

c) Es ist ganz anders hier, als alle gesagt haben. Es gibt Palmen. Die Buchhandlungen verkaufen Kinderleibchen. Sie haben einen Fluss mit Namen Hase. (Und das Hotelzimmer sieht aus, als sei Remarque darin zur Welt gekommen. Gerade eben.)

d) Ich hätte nie weggehen sollen.

e) Morgens um drei durch Osnabrück laufen ist wie ein Spaziergang durchs Universum kurz vor dem Urknall. Alles ganz eins mit sich, ganz dicht und bewegungslos. Hier ist nichts als die Anspannung, von welcher Seite Gott die Bühne betreten wird, um Himmel und Erde zu scheiden. Bislang jedoch ist, so weit das Auge reicht, von Gott noch nichts zu sehen.