Der Verlag als soziales Gefüge. Eine Studie am Beispiel Kaffee

Das Kaffeejahr geht zu Ende. Die Mitarbeiterinnen der Inlandslizenzen erinnern die Presseabteilung daran, dass sie ab der Buchmesse turnusmäßig für Reinigung und Pflege der Kaffeemaschine im ersten Stock zuständig sind.
Murren. »Von uns trinkt überhaupt keiner mehr Nespresso.« Tuscheln auf dem Flur: »Warum putzen nicht die, die das Ding auch benutzen?« Das Thema Kaffee bekommt eine grundsätzliche Note. Die Volontärin der Auslandslizenzen schreibt eine Nachricht ans ganze Haus: Wie könne ein Verlag, der Bücher zur Nachhaltigkeit im Programm hat, überhaupt Kaffeekapseln verwenden?

Erste Sondersitzungen. Ein Gefühl der Erregung breitet sich aus. Die Projektsteuerung bietet an, die anderen Abteilungen bei der Pflege der Kaffeemaschine zu unterstützen. Einspruch: Darum gehe es doch nicht. Niemand will den Anschein erwecken, auf persönliche Vorteile aus zu sein, wenn das eigentliche Ziel doch sei, einem Unrecht Einhalt zu gebieten. Wortgefechte. Endlich findet sich ein Kompromiss: Die gebrauchten Kapseln werden gesammelt, man will den Hausmeister bitten, sie zum Wertstoffhof zu bringen.
Der Verleger fragt nach: Haben die Buchvertreter dem Verlag nicht gerade eine nagelneue Barista-Anlage geschenkt? Steht im Erdgeschoss – dreizehn bar effektiver Brühdruck. Eine regelrechte Koffein-Druckstraße. Letzte Woche ist extra der Außendienst angereist, um den Kolleginnen im Haus feierlich die Handgriffe zu erklären. Könnte dort nicht das ganze Haus seinen Kaffee …?
Der Vertrieb weist den Vorschlag entrüstet von sich. Das sei ein Geschenk an den Innendienst gewesen, die anderen Abteilungen hätten damit überhaupt nichts zu tun. Die Maschine sei für so viele Nutzer auch gar nicht ausgelegt. Außerdem, wendet der Empfang ein, dauere es damit viel zu lange, größere Besuchsgruppen zu versorgen.
Erste Zusammenrottungen in der Werbung. Die Veranstaltungsabteilung entstaubt die alte French-Press-Kanne. Man tue gut daran, sich autark zu machen. Die Zeit der Kompromisse sei vorbei.
Währenddessen tagt zwei Stockwerke weiter unten der Vertrieb. Die neue Barista-Anlage ist so empfindlich, dass das Mahlwerk verklebt. Am besten verwende man immer die gleiche Kaffeeart. Unter den Kolleginnen bricht offener Streit über die Bohnensorte aus. Das Keyaccount wünscht Qualität, die Auszubildenden können sich Qualität nicht leisten. Erhitzte Debatten. Die Entscheidung wird ergebnislos vertagt.
»Und was«, wendet der Artdirector ein, »ist mit dem Kalk?«
»Welcher Kalk?«, fragen die Gebietsbetreuerinnen.
»Im Leitungswasser«, entgegnet der Artdirector. Das sei hier so kalkhaltig, dass die sensible Maschine sofort verstopft. »Alles andere als entmineralisiertes Wasser ist unvorstellbar.« Am besten Volvic, er habe damit gute Erfahrungen gemacht.
Artdirectoren kennen sich mit so etwas aus.

»Plastikflaschen!« Der Schrei der Volontärin Auslandslizenzen ist bis ins Erdgeschoss zu hören. Da könne man ja ebenso gut wieder Kapseln verwenden. Das Controlling weist leise darauf hin, dass im Zuge des Verlagsumbaus im Keller eine Entkalkungsmaschine eingebaut worden sei. »Und zwar«, ergänzt es flüsternd, »für ziemlich viel Geld.« Seitdem sei überhaupt kein Kalk mehr im Trinkwasser. Der Verleger bestellt Teststreifen, um zu prüfen, ob auf die Volvicflaschen verzichtet werden kann.
Außerdem, fährt das Controlling fort, sei das mit dem Geschenk so eine Sache. Die Vertreter hätten da zwar eine hübsche Idee gehabt und zusammengelegt. Der Verlag habe dann aber heimlich noch was dazugetan, damit es für das gewünschte Modell reichte.
Das Online-Marketing erinnert daran, dass ja auch Vinyl wieder im Kommen sei. Die Zukunft gehöre dem Retro. »Anständige Hipster trinken inzwischen nur noch Aufguss.« Ob wir nicht alle auf Filterkaffee umsteigen sollten. Auf keinen Fall, wendet die Kinderbuchpresse ein: »Ohne meine zimtfarbene Crema kann ich nicht leben.«

An den Bürotüren des Sachbuchlektorats hängen mittlerweile handgeschriebene Plakate, die an die Kolonialgeschichte der Kaffeeplantagen erinnern: KAFFEE IST FLÜSSIGE UNTERDRÜCKUNG! Die Herstellung stellt komplett auf Früchtetee um.
Unablässig treffen von den Vertretern Updates zum idealen Fettgehalt der Milch ein, zur Eindringtiefe des Milchschäumers, zum pH-Wert der verwendeten Reinigungsmittel. Erste Mitarbeiter äußern den Verdacht, die Vertreter verstünden unter Kultur vornehmlich Kaffeekultur.

Notiz vom Hausmeister: Die Entsorgung gebrauchter Nespressokapseln lehne er ab. Er habe sich erkundigt: Vor dem Recyceln müssten die leeren Kapseln erst gesäubert werden. Wer das denn bitteschön übernehmen soll. Ohnehin sei das in puncto Umwelt und Aufwand unverhältnismäßig. Und die Buchhaltung habe ihm eine Studie gezeigt, nach der das Zusammenspiel von Metall und Säure in den Kapseln für die Entstehung von Alzheimer verantwortlich gemacht wird. Der Verleger wünscht im Stillen dem kompletten Haus einen reinigenden Kurzzeit-Alzheimer, um die ganze Sache zu vergessen.

Frühjahrsvorsatz: In Zukunft einfach heißes Wasser trinken. Ist ohnehin bekömmlicher.