Archive (Seite 11 von 25)

Bielefeld

Das Schöne an Bielefeld: Gleich auf dem Bahnhofsvorplatz stürzt eine Frau auf einen zu und schreit mit heiserer Stimme: »EY, GEILE HAARE!«
Erst ist man überrascht, aber so ein kleines, ehrlich gemeintes Kompliment schmeichelt dann ja doch. Ich wollte mich gerade bedanken, als ich sah, dass sie die rosa gefärbte Punkerin hinter mir meinte.

Eros und Erosion

Morgens noch Pracht, mittags schon rieseln
erste Blütenblätter aus dem Pfingstrosen-
strauch auf den Besprechungstisch und jetzt
bei Einbruch der Nacht kommt die Putzfrau
und fragt, ob sie’s lassen darf, es sehe so
schön aus. Sie haben viel gelernt seit Beuys.

Elfenbeinküste

Gastvorlesung vor Studenten der Universität Cocody. In der letzten Reihe meldet sich eine junge Frau und erzählt von dem Buch, das sie gerade liest. Der Autor heiße Franz Kafka, die Geschichte handele von einem Mann, der eines Tages aufwache und verwandelt sei. Und dann erzählt sie leise die ganze Geschichte nach, wir alle im Saal hören mit angehaltenem Atem zu, und ich versuche so lange wie möglich nicht vor Glück zu weinen.

Passion

Drogen? Sexsucht? Online-Poker? Jeder hat ein kleines Geheimnis, das zu viel Zeit und zu viel Geld frisst. Meine heimliche Leidenschaft: Flüge verpassen.

Heathrow

Bach

Eigentlich kann ich nicht Klavier spielen. Aber einmal im Jahr bringe ich mir Note für Note die Aria der Goldberg-Variationen bei. Die folgenden Wochen verbringe ich damit, mir das Spiel allmählich aus den Fingern gleiten zu sehen, im seligen Entzücken einer verblassenden Erinnerung, bis endlich alles vergessen und verlernt ist und das Jahr verstreicht. Dann wieder von vorn beginnen zu können wie ein erstes Mal haut mich bei jedem neuen Anlauf einfach um, vom ersten Takt an. So auch heute. We call it serielle Sentimentalität.

Liebe U35-Jährige

Es wäre übrigens völlig ok, nicht in jede Redepause dieses leere »Genau« zu murmeln. Das macht eure Aussagen etwas, nun ja, weniger genau.

(Ich selber nutze an solchen Stellen z.B. ein klassisches »Äh«. Zeitlos.)

Epiphanie & Alltag

Die Frau mit den Ohrhörern, die einem im Morgengrauen auf dem Bürgersteig entgegenkommt und auf einmal so zu lächeln beginnt, dass sie vor Freude die Augen schließen muss, und sich ausmalen, was sie gerade gesagt bekommt.