Über Bücher, über das Machen

Einige ungeordnete Gedanken, gesprochen aus Anlass der Buchmessen-Stegreifparty im Literaturhaus Frankfurt, aber nicht nur diese betreffend, sondern generell Entwicklungen und Möglichkeiten gegenwärtiger Verlagsarbeit

1. Diese Nacht steht unter dem Motto #WirmachenBücher. Erfreulich sachliche Aussage: so nüchtern, einfach und klar wie jede gute Feier. Dies ist eine Pop-Up-Party – nicht zuletzt, weil es in diesem Jahr einige Pop-Down-Partys gab. (Unsere eigene zum Beispiel.)

2. Man redet auf Messen ja viel, wenn der Tag lang ist – und die Tage sind weiß Gott lang. Ich habe in dieser Woche mit Kollegen aus allen möglichen Ländern zusammengesessen, man tauscht sich aus, Tipps und Ideen und Lektüren, die einem nicht aus dem Kopf gehen. Und dann trifft man die Agenten und hört staunend von den neuesten Trends.

3. Mein Lieblingstrend dieser Messe wurde mir gleich am ersten Tag von einer Agentin zugeflüstert, unter dem Siegel der Verschwiegenheit: UpLit.

4. Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen. UpLit. Was könnte schöner sein. Ich stand unmittelbar in Flammen, war hin und weg und wollte das alles ungelesen kaufen. UpLit – was sollte man sich Herrlicheres wünschen? Das ist doch der Grund, warum wir Bücher machen. Auf einmal fühlte ich mich so leicht.

5. Das sei allerdings, unterbrach die Agentin meine rasch entrückten Gedanken, im Grunde der gleiche Trend wie letztes und vorletztes Jahr und in den Jahren davor, auch wenn es damals noch ChickLit oder EasyLit hieß. Aber das klinge in dieser Saison einfach nicht mehr frisch. Ich würde das sicherlich verstehen.

6. Klar. Alles in Ordnung. Ich hatte einfach kurz zu hoffen gewagt. Kommt nicht wieder vor.

7. Der Vollständigkeit halber und weil es so schön ist: Sie nannte noch einen zweiten heißen Messe-Trend. Mit einem nicht minder verlockenden, amerikanisch ausgesprochenen Namen, halten Sie sich bitte an Ihrem Nachbarn fest: LatteLit.
Ist allerdings leider auch nichts anderes als der Rest.

8. Wie auch immer. In jedem einzelnen dieser Gespräche tauchten früher oder später unsere 6 Millionen verlorenen Buchkäufer auf. Auch wenn die internationale Verlagsszene nicht wirklich flüssig Deutsch spricht, ein Wort beherrschen sie inzwischen alle: »Leserschwundstudie«.

9. Ich habe den Kollegen dann immer gesagt, dass ich das ernst nehme, dass man die Studie aber einordnen muss. Sie zählt einfach, wie viele Menschen zwischen 2012 und 2017 ein Buch gekauft haben. Irgendein Buch. Ist es das, worauf wir aus sind?

10. Was die Studie unterschlägt: 2012 erschienen zum Beispiel die ersten Bände von »50 Shades of Grey«. Viele Menschen, die es sonst womöglich nicht so mit Büchern haben, besorgten sich damals aus Neugier eins und jagten damit die Käuferzahl durch die Decke. Unser vielbeschworenes Vergleichsjahr 2012 war auf diese Weise das Jahr mit den meisten Zumindest-ein-bisschen-Buchkäufern aller Zeiten. Schön für den Handel. Aber ist das allein unser Ziel – irgendein Buch? Ist es das, worum es geht?

11. Das Motto dieses Abends heißt also #WirmachenBücher. Wie schön. Aber mir ist das zu wenig. Wir machen ja nicht einfach irgendwelche Bücher.

12. Um in diesen Wochen auch mal etwas Hübsches über Konzernverlage zu sagen: Random House hat im vergangenen Jahr eine Entscheidung getroffen, die nicht selbstverständlich ist. Sie haben entschieden, dass ihnen der neue Sarazzin nicht passt. Ich begrüße das, seine Bücher haben den unheilvollen Sumpf aus leerlaufender Aversion und haltlosen Vermutungen mit angerührt, in dem wir nun stecken. Wer nur auf Studien von Käuferzahlen starrt, wäre leicht zu einer anderen Entscheidung gekommen.

13. Vor einigen Jahren habe ich in einem Vortrag mal die damals offenbar noch irritierendere These geäußert, dass Verlage ihr Türhütermonopol verlieren. Ich lud dazu ein, diese Veränderung im verlegerischen Tun mitzudenken. Verlage sind nicht länger der einzige Weg in die Öffentlichkeit. Das gilt für Buchverlage ebenso wie für Zeitungen.

14. Seither haben wir erlebt, dass die neue Vielstimmigkeit nicht nur Vorteile mit sich bringt. Dass daraus nicht nur Partizipation und Teilhabe entspringen, sondern auch Trolle, Bots und Dreck. Bisweilen könnte man denken, die Welt sei zu einem großen, lauten, schlecht gelaunten Stammtisch geworden.

15. Den damaligen Gedanken müsste ich heute schärfer formulieren: Gerade weil außerhalb klassischer Vermittlungsinstanzen alles möglich ist, zählt das Vorkosten um so mehr. Was damals, im Auftakt der neuen Freiheiten, nach Dünkel schmeckte, erscheint heute verlockender: Auswahl. Ich wünsche mir, wir würden dies von der Buchmesse mitnehmen: Wenn es einen Grund gibt, warum wir hier gerne zusammenkommen, dann ist es nicht die Tatsache, dass wir einfach Bücher machen. Sondern dass es gute sind.

16. Das Türhütermonopol kommt nicht wieder. Das ist auch so in Ordnung. Etwas anderes aber bleibt: Wir können entscheiden, wofür wir stehen, welche Bücher wir verlegen. Und die Antwort muss sein: Nicht irgendwelche.

17. Hier sind ein paar blumige Trends, von denen ich mir wünsche, dass ein paar davon sich über die Messe hinaus verbreiten: Wir machen notwendige Bücher und nennen das meinetwegen EssentialLit. Wir machen entschiedene Bücher und nennen es ResolutLit. Wir machen Bücher, an die wir selber glauben, ohne nach einem imaginären Publikum zu schielen, und nennen das ProudLit. Wir machen erhebende Bücher und nennen das allen anderweitigen Verwendungen zum Trotz UpLit. Wir machen Bücher, in die wir verknallt sind, und nennen es LoveLit.

18. Und wir machen Buchmessenpartys, obwohl alle Buchmessenpartys abgesagt sind. Und nennen das: DontQuitLit. Einen schönen Abend!