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Am Ostermontag natürlich nach Meran, zum Saisonauftakt. Wohin sonst. Im Ippodromo gibt es das alljährliche »Haflinger Galopprennen«. Als wir eintreffen, sind die Tribünen bereits belebt, die Rennbahn strahlend grün unter den schneebedeckten Gipfeln der Texelgruppe. In der Luft ein Hauch von Frühling und Fettgebackenem. Selbstverständlich tragen wir alle Hut, einer breitkrempiger als der andere. Wir kommen gerade rechtzeitig zum ersten Vorlauf »Ältere Stuten«, den die achtjährige Pepita aus Mölten für sich entscheidet. Um keine Leere entstehen zu lassen, gibt es in den Rennpausen Brauchtum. Jetzt zum Beispiel zeigen die Etschtaler Peitschenknaller, wie man im Etschtal Peitschen knallt. Sie schwingen die langen Lederriemen durch das Frühjahr, es muss mühsam sein, ihre Gesichter glänzen von Anstrengung und Glück. Wenn sie die Peitschen gemeinsam knallen lassen, klingt es wie ein einziger Knall.

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Vor dem nächsten Start sind wir bei den Quotenmachern in den Katakomben, denn was sind Pferde ohne Pferdewette. Wir streuen unseren Einsatz etwas unentschieden unter diversen Namen, die Großen setzen vor allem auf Nora aus dem Sarntal, die am Getränkestand als Favoritin gehandelt wird, die Kinder auf Orpine mit der geflochtenen Mähne. Der Start, das Jagen, die gestreckten Leiber. Orpine wird zweite, Nora quält sich als Fünfte ins Ziel, mit irren Augen, die anderen landen dahinter, wir verlieren alles. Erst einmal Platz nehmen auf der Tribüne. Durchatmen. Konzentration. Fokus. Entschiedenheit.

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Im nächsten Rennen setzen wir alles auf ein einziges Tier. Sie heißt Ozone und ist schön, sie besticht uns durch ihr bebendes, vibrierendes Dasein. Außerdem hieß ihr Vater Winnetou und im Sattel sitzt mit hellgrünem Helm die Erschbamer Kathrin. Die beiden haben hier bereits zweimal gesiegt, Ostern 2014 und noch einmal bei der Regenschlacht im vergangenen März. Es ist nicht so, als wären wir nicht nervös, als der Startschuss fällt. Wie schön die Haflinger sind, keine klassischen Rennpferde, aber eine Farbe wie süditalienische Hauswände. Wie Tiramisu. Wie Laminat. Ozone ist nicht zu halten, sie siegt unerreichbar.

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Ist’s Rausch, ist’s Wagnis, ist’s Übermut? Wir setzen den kompletten Gewinn auf T-Amo. Schöner Name für ein Pferd. Aus Kastelruth, im Sattel diesmal die Gasslitter Patrizia, leicht zu erkennen an ihrem malvenfarbenen Helm.
Die Pferde machen sich auf den Weg, es sind jetzt alles Vierjährige. Und weil der ganze Jahrgang mit T beginnt, jagen nun auch Tutti, Trixi, Twety, Tara und ein paar weitere Zeitgenossen um den Sieg, es ist nicht leicht auseinanderzuhalten, am besten hält man sich an die Farbe der Helme. Von T-Amo und ihrer malvenfarbenen Reiterin allerdings ist nach der ersten Kurve keine Rede mehr. Im langgezogenen Ostbogen aber holt sie auf, durch die Gläser ist deutlich zu erkennen, wie sich ein malvenfarbener Fleck aus dem Pulk löst und größer wird, und wer in diesem Moment nicht glaubt, in der Ferne eine Malvenknospe erblühen zu sehen, hat niemals eine lebende Seele besessen. T-Amo kämpft, tobt – und schließt endlich zur Führungsgruppe auf, zu Tutti, Turri und Tooley. Es ist nun ein klassisches Kopf an Kopf, eine einzige geschlossene Wand aus vier Pferden biegt auf die Zielgerade ein, die Jockeys hoppeln im Sattel, ihre Schenkel touchieren einander, ebenso die Flanken ihrer Pferde, alles bebt und schäumt, Gras und Sand und Speichel. Die gesamte Tribüne steht, schreit und springt, als sich die Meute der Zielgeraden nähert. Wer nennt die Namen, wer singt die Lieder, wer könnte das alles überhaupt auseinanderhalten ohne die Helme. Wie eine einzige, einige Quadriga überquert die Gruppe die Linie, am Ende muss das Zielfoto entscheiden – und kürt den Richtigen. T-Amo, wir lieben dich, du fleischgewordener Traum der Rennbahn, pferdefleischgewordene Heldin Südtirols. »So sehen Sieger aus«, dichtet der Stadionsprecher, und wir könnten uns in dem Moment keinen Vers ausmalen, der wahrer wäre, schöner und guter.

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Vielleicht ist dies der Augenblick, als die Unvernunft endgültig mit uns durchgeht, als wir uns sicher wähnen. Sicherer, als Menschen je sein können, sicherer noch als Götter. Natürlich wissen wir von der Favoritin für den nächsten Lauf, The Beauty. Ja, DIE The Beauty. Jenes Pferd, das seine Besitzer einfach Beauty taufen wollten, aber es war eben der T-Jahrgang, siehe oben. Der Stadionsprecher redet sich in einen Rausch hinein, als er ihre bisherigen Erfolge aufzählt, und es wird nicht besser dadurch, dass er sie beständig Tee Buuti nennt. Wenn das nicht irgendwann in Hass umschlägt, weiß ich auch nicht.

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Aber Beauty kann jeder. Wir sind die, die T-Amo zum Sieg getragen haben, zum Sieg gesungen, zum Sieg gekeucht. Wir setzen alles auf Tornado, das ganze blöde Geld. Ein Name wie ein Programm. Klar, am Getränkstand munkeln sie über ihn. Delikater Charakter, delikate Provenienz. Aber immerhin Charakter, immerhin Provenienz. Wer von uns könnte das von sich behaupten, Hüte hin oder her. Tornado lässt sich krönen vom Tschigg Manfred, den wiederum krönt ein bordeauxfarbener Helm, und wie dieser nun in der allmählich schon spätnachmittäglichen Sonne funkelt, kommen einem fast ein wenig die Tränen vor Rührung und Stolz und Zuversicht. Strahlendes Bordeaux, Farbe der Könige, der Päpste, der Mondraketen.
Um ehrlich zu sein, kneifen wir mit dem Startschuss alle die Augen zusammen, nicht nur wegen der allmählich tiefer stehenden Sonne, sondern auch, weil auf der Unterseite der Zuversicht ja immer schon die Sorge gedeiht wie ein hartnäckig wuchernder Schimmelpilz.
Als wir die Augen wieder öffnen, ist das Dilemma bereits recht offenkundig, da braucht es keinen Stadionsprecher. Schon am Ausgang der ersten Kurve muss man kein Glas mehr bemühen: The Beauty führt mit mehreren Längen, ohne jede Anstrengung. Joan Baez sang über ein ähnlich gelagertes Pferd einmal: »And way out yonder, ahead of them all, came a-prancing and a-dancing my noble Stewball« und hätte damit auch in unserem Fall die richtigen Worte gefunden. Hinter ihr im Dunst, längst abgeschlagen, folgt der ganze Rest vom Schützenfest, einschließlich eines winzigen bordeauxroten Hütchens, das nun gänzlich trostlos aussieht. Es endet, wie es enden muss.

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Sonst passiert nicht mehr viel. Beim nächsten Rennen wirft die dreijährige Ulisse an der 200-Meter-Marke ihren Reiter Manfred ab, einschließlich seiner rostroten Haube. DJ Unbekannt spielt »It’s raining men«. Junge Mädchen streicheln abseits der Rennbahn den abgekämpften Tieren ihre Flanken, verschwitzt vom Striegeln, die Blicke leer von Sehnsucht. Wir setzen die Hüte ab, unsere letzten Münzen gehen für Kaffee und Fettgebackenes weg. Anschließend blank nach Hause, wohin sonst. Blank, nicht hellgrün, nicht schnee, nicht malve, nicht rost, schon gar nicht bordeaux. Nein, blank, natürlich blank, in der einzig ehrlichen Farbe des Nachmittags. Wie sonst?

 

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